Starker Auftritt, feine Details
Mit der Industrialisierung setzte ein massiver Zuzug in die Städte ein. Die Folge war eine gravierende Wohnungsnot, die vielfach nur durch Selbsthilfe behoben werden konnte. Mangelndes Vermögen wurde durch Solidarität kompensiert: Die Zeit der Wohnungsgenossenschaften begann. So auch in Kempten, wo sich vorwiegend südlich der Stadt am östlichen Illerufer Textilindustrie ansiedelte. Da entfaltete die BSG-Allgäu ihr Engagement. Ein besonderes Beispiel aus jüngster Zeit hier oben ist das Projekt »Genossenschaftliches Wohnen für Familien«, das kompakt in zwei Baukörpern 25 familiengerechte Wohnungen, im Rahmen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus, bereitstellt. Das dreieckige, mithin nicht ganz einfache Grundstück ist so geschickt genutzt, dass die Baukörper eine Mitte für Gemeinschaft und Kinder einräumen, die sich ihrerseits an prominenter Stelle zur Landschaft öffnet. Und der Landschaftsverlauf des leicht nach Norden abfallende Baugrund ist so geschickt genutzt, dass die Gesamtanlage rundum aufs Selbstverständlichste ebenerdig zugänglich ist – Zufahrt zur Tiefgarage unter dem Hof eingeschlossen.
Wechselnde Perspektiven
Nähert man sich der Baugruppe auf der Hauptstraße von Westen, so bildet ein Gebäude, das leicht zurückgesetzt mit seinen zwei Geschossen ganz dem Maßstab der Nachbarschaft folgt, den Auftakt; dem folgt ein weiterer Bau, der näher an die Straße rückt und mit seinen drei Geschossen stattlicher wirkt. Der Blick dazwischen lässt den Hof erkennen. Nimmt man die andere Richtung, so macht der stattlichere Bau den Auftakt: ein anderes Bild. Man fährt auf den Baukörper zu, ein fast städtisches Gebäude mit Lochfassade, Loggien an den Gebäudekanten, ansatzweise mit den Fenstern durch die Faschen zu Bändern zusammengefasst. Auf den zweiten Blick erst wird deutlich, dass dieser Eindruck sich dem Umstand verdankt, dass der Baukörper leicht geknickt ist. Ein fast unmerklicher Trick, der Differenzierung erlaubt, ohne viel Aufhebens zu machen. Begibt man sich um und in die Anlage, wird deutlich: So wurde hier überall gearbeitet.
Der Wohnblock zur Straße beherbergt Etagenwohnungen mit großen, eingezogenen Loggien, der westliche Flügel des flachen Wohnbaues zweigeschossige Reihenhaustypen mit rückwärtigem Gartenanteil, der nördliche Flügel durchgehende Wohnungen mit Freisitz am Hof. Das ergibt einen Wohnungsmix von 2 – 5 Zimmerwohnungen, vorwiegend 4 Zimmer mit durchschnittlich 90 qm. Fast alle Wohnungen sind barrierefrei, was angesichts des engen Flächenkontingents beim geförderten Wohnungbau eine besondere Herausforderung war, wie Norbert Pracht, Architekt und technischer Leiter der BSG erläutert und ergänzt: »Und doch haben wir eine selbstverständlich wirkende Lösung erreicht, sozial, städtebaulich und landschaftlich eingebunden. So ist eine Gemeinschaft für Familien und Kinder entstanden – 50 Kinder waren es, als die Anlage 2014 bezogen wurde.«
Ökonomie und Ästhetik
Preiswerten Wohnraum schaffen – das heißt: preiswert Bauen. Die ökonomische Flächennutzung durch polygonale Baukörper ließ sich nur auf konventionelle Art durch übliches Bauhandwerk ausführen in konventioneller Bauweise: 36,5 cm gedämmter Ziegel, innen Kalk- außen Kalkzementputz, keine aufgesetzten Dämmsysteme. Die Decken sind in Stahlbeton, ebenso Keller und Tiefgarage. Aus Kostengründen waren Kunststofffenster angesagt, die in den tiefen Laibungen geschützt sind und mit den hellen Faschen eine Einheit bilden. Die Baukörper haben geneigte, blechgedeckte Kaltdächer. Der Heizwärmebedarf liegt mit ca. 40 KWh/qm2a im günstigen Bereich – dank kompakter Bauweise und angemessener Befensterung. Die Energie wird zentral durch eine PelletsHeizung bereitgestellt. »Es freut uns,« so Architekt Stefan Walter vom Architekturbüro f64, »dass wir diese Dichte an nutzbarer Fläche hinbekommen haben und dazu dieses Angebot sozialer Art – und all das, ohne dass man’s der Sache sofort ansieht…« Das Preisgericht des angesehenen Deutschen Ziegelpreises ist dem gefolgt und hat festgestellt: »Ein Wohnprojekt voller Qualitäten. … Die Gebäudekörper wirken durch die flachen, für den Betrachter nicht wahr-nehmbaren Zeltdächer kraftvoll kubisch. Hierdurch konnten die Architekten diese skulptural sehr gut in den fallenden Geländekanten der Grundstückaußenseiten verankern. … Die Fassaden kommen mit wenigen, gut gewählten Fensterformaten aus und erhalten so genügend Ruhe, um durch die von innen heraus notwendigen Rhythmuswechsel weniger gestört als gesteigert zu werden… Dass die Gebäude auch noch eine hervorragende Energieeffizienz aufweisen, bestärkte die Jury darin, das Projekt mit einem Sonderpreis auszuzeichnen.« So geschehen im Jahre 2017.
Architekten
Architekten f64
Bauherr
BSG Allgäu
Bauweise
36,5 cm gedämmter Ziegel, innen
Kalkputz, außen Kalkzementputz
Energieversorgung
Zentral durch Pelletsheizung
Barrierefrei
fast alle Wohneinheiten
Ausgezeichnet
Deutscher Ziegelpreis 2017
Auszugsweise Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Kreisbotenverlages.
Text: Florian Aicher
Fotos: Nicolas Felder