Das rote Haus
Nähert man sich Illerbeuern von Osten, so mischt sich unter die ersten Häuser eines, das ins Auge springt, im Vorbeifahren, aus dem Augenwinkel fesselt. Man bremst, stößt zurück, steht vor dem Bau: Die Silouette eines Hauses mit steilem Dach, Fenstern und Tür. Zeitlos, traumhaft – betont durch die Farbe: Rot!
Mit knapp 8 x 10 Meter ein kleines Haus, rundum überlugte Schalung mit Deckleiste, samt Dach aus Alu-Trapezblech in Ochsenblut getaucht; in freier Anordnung eher sparsam befenstert, ähnlich die Proportionen, wechselnd die Abmessungen bis hin zu einem großen, mit Kreuzsprossen geteilten Atelierfenster. Trotz der Geschlossenheit des Volumens öffnet sich einmal ein Blick durchs ganze Haus. Umkreist man es, so zeigen sich ganz unterschiedliche Seiten. Doch irgendwie stimmt etwas nicht: Was so einfach schien, ist keinesfalls regelmäßig, was regelhaft anonym wirkte, ist eigensinnig. Der Grundriss verjüngt sich zum Eingangsgiebel hin – das Haus kriegt sein eigenes Gesicht und die eine Längswand eine fallende Traufe.
Da geht’s selten gradlinig zu
»Wer sich mit traditionellem Bauen auf dem Land beschäftigt«, so der Architekt Alexander Nägele, »der kann feststellen, da geht’s selten gradlinig zu. Es gibt Abweichung von der Symmetrie, unregelmäßige Volumen, Wechsel bei Baustoff und Farbe: Brüche. Das sind Hinweise, das prägt sich ein …«
Großzügigkeit, die man dem kompakten Haus nicht zutraut
Das Haus bietet 170 qm Wohnfläche über drei Stockwerke. Das Erdgeschoss fürs Familienleben, das erste Geschoss für die drei Kinder mit je eigenem Zimmer, das Dachgeschoss für die Eltern. Kinder und Eltern haben separate Bäder, im Dach dazu eine Saune, unten ein WC. Das hört sich sehr dicht an, doch wie staunt man ob der Großzügigkeit. Paradox: Trotz der vielen Zimmer, jedes mit gleich großem Fenster, hat man sich »leeren« Raum geleistet: Das Wohnzimmer geht über zwei Geschosse, gut ausgeleuchtet dank hoch gelegenem Atelierfenster mit Sichtbezug zum angrenzenden Treppenraum. Offen geht Wohnen über zum zusammenhängende Ess- und Kochbereich, der sich einerseits über einen Hof großzügig zum Elternhaus öffnet, andererseits die rückwärtigen Wiesen und den Freisitz hereinholt ins Wohnen. Präzise Beziehungen in alle drei Dimensionen und raffiniert verknüpfte Räume gewähren Großzügigkeit, die man dem kompakten Haus von außen nicht zutraut. Wie das?
Beim Entwerfen ist Zeit wichtig
»Wir reden immer viel mit den Bauherrn über ihre Gewohnheiten und Wünsche, über Beziehungen der Räume, das Drinnen und Draußen, die Orientierung zu Umgebung und Himmelsrichtung. Wir reden über Banales … « führt der Architekt aus. Ausbezahlt hat sich hier, dass man am Haus, im Dorf blieb. Dann der sparsame Umgang mit Raum, schließlich sparsame Konstruktion: Die massiven Brettsperrholzwände sind vorgefertigt und kommen ohne beschönigende
Verkleidung aus. Im Erdgeschoss liegt die Fußbodenheizung in der Bodenplatte aus Beton, der nur beschichtet ist. Die rohe Anmutung wird kontrastiert durch feine Oberflächen: glatter, weißer Gipskarton, weiß lackierte Holzfenster mit tiefer Laibung, feine Einbaumöbel und intensive Farbigkeit bei Bädern und innenliegenden Räumen. Einfach, wohl bedacht – rund 1950 Euro/qm können sich sehen lassen.
Zuhause fühlt sich Julia, die Bauherrin
»Ich lebte ja zum Schluss mit Tochter und Oma im Nachbarhaus. Ein richtiges Bauernhaus, niedrige Wohnräume, der Heustadl: hoch und niedrig, weit und eng, hell und dunkel – ein Flair, das kann man gar nicht beschreiben. Obwohl ganz anders, hat das neue Haus manches davon – anders und doch verwandt. Unser Haus steht für sich und ist doch ganz nah am Alten mit engem Kontakt über drei Generationen. Das Besondere? Vielleicht das: Es ist ein Haus.«
Architekten
Soho, Alexander Nägele
Bauliche Merkmale
Brettsperrholzwand, 24 cm, Holzfaserdämmung, 16 cm, Überlugte Holzschalung, Brettstapeldecke, Alu-Dach
Boden: EG vergüt. Rohbeton, OG: Weißtanne massiv
Luft-Wärmepumpe + Stückholzofen
Wohnfläche 170 qm
Baukosten /qm 1950 Euro
Baukosten 335 000 Euro
Auszugsweise Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Kreisbotenverlages.
Text: Florian Aicher
Fotos: Nicolas Felder