Kraft der Konzentration
eilich: Im Ort ist oft kein Bauplatz mehr verfügbar, ist unerschwinglich oder ist auf andere Art unpassend. Dann schaut man sich am Ortsrand um. So erging es der Familie Schreiber, die in einem Mischgebiet am Rand von Göresried den passenden Bauplatz fanden. Ein Bauplatz freilich, der ihnen einiges abverlangte. Schutz vor Einblicken und Geborgenheit vor rauen Winden, Öffnung zu Sonne und Garten waren gewünscht. Doch Verbergen und Öffnen widerspricht sich. Allerdings nur in der Welt starrer Begriffe. Versucht man es mit einer Geste, die ja immer in Bewegung ist, sieht die Sache anders aus: Die ausgebreiteten Arme der Begrüßung öffnen sich, umschließen den Freund, umfangen ihn und schirmen die Begrüßung mit dem kräftigen Bogen der Schultern ab. Genau das macht das Haus der Schreibers. Es umgreift mit zwei Flügeln die Landschaft und kehrt dem Baugebiet den Rücken zu.
Bewegung, die in sich ruht
Da heute ein Haus ohne Garage kein Haus ist, kommt zum Hauptbaukörper ein weiterer hinzu – das eröffnet die Möglichkeit einer weiteren Geste. Die Garage lagert sich an einen der Flügel an, sodass nun auf der abgewandten Seite ein einladender Winkel entsteht. Ein kleiner Vorplatz ist so auf dieser Seite entstanden und das Haus wendet sich seinen beiden Nachbarn zu. Ganz selbstverständlich liegt der Eingang im Knick dieses Winkels. Abwendung vom Baugebiet und Zuwendung zu den Nachbarn gelingen in einem.
Da geht zusammen, was sich widerspricht. Die Modellierung des viel gestalten Baukörpers macht’s möglich. Das setzt Können voraus, vor allem aber: »genau auf die Wünsche der Bauherrn hören, genau das Umfeld studieren, Möglichkeiten erspüren, intensiv nach Lösungen suchen. So eine Form ist nicht willkürlich, sondern lang entwickelt«, führt einer der beiden Architekten, Gerd Riedmüller, aus. Das wird deutlich, wenn man sich dem Haus nähert: wie da ein Vordach, ein gedeckter Freisitz durch geometrische Verschiebung den geschlossenen Baukörpern abgewonnen wird, zeigt Meisterschaft.
»Die Nachbarn«, so erinnert sich Anita Schreiber, »waren skeptisch, von außen gibt sich das Haus ja auch eher verschlossen. Wenn sie dann durch die Tür herinnen waren, gab’s immer erst ein Wow – einerseits offen, Landschaft, andererseits gemütlich, behaglich, eine ganz persönliche Atmosphäre. Das war’s, was ich wollte: geschützt, sodass mir nicht jeder auf den Teller gucken kann.«
So wohlbedacht die Figur, so überlegt die Ausführung. Zur Atmosphäre trägt erheblich bei, dass die Fenster sparsam und sehr bewusst gesetzt sind. Das Erdgeschoss öffnet sich im Gebäudewinkel weit zum Garten, an einem Schenkel bietet der Raum als Kontrapunkt einen Ausblick zum Abend. Sonst sind die Wände geschlossen – und doch prägt Licht die Stimmung. Indirektes Licht vom Treppenraum und einer Galerie taucht den Raum in Tageslicht. Atmosphärisch wirkt die Eiche, ob Boden, Türen, Fenster oder Küche vor den weißen Putzwänden.
Leben, das die Dinge prägt
Mit 140 qm für vier Personen, drei Schlafzimmern und Büroarbeitsplatz, ist es nicht groß, aber großzügig, ohne sich zu verlieren. »Auch, wenn die Kinder mal aus dem Haus sind, kommt es mir nie leer vor. Die Räume sind wie auf uns zugeschnitten«, mein Jürgen Steiner. Der Komfort dieses Hauses: die grundlegenden Dinge solide und mit Sorgfalt erledigt und den Rest den Lebensvorgängen überlassen. Aus diesem Geist ist das Haus errichtet: 42 cm Mauerwerk, Kalkputz, Betondecken, Holzdachstuhl, Fußbodenheizung. »Ohne viel Sperenzchen, wie’s seit Jahrhunderten gemacht wird …« so der Architekt und Baumeister Markus Hafner. »Bauen kommt immer aus dem Vergangenen, wir greifen auf, was sich bewährt hat.« und sein Kollege Gerd Riedmüller ergänzt: »Der Bezug zählt: zu den Bauherren, zur Landschaft, zur Baukultur. Auch wenn wir hier freier damit umgegangen sind: Bauen im Allgäu bleibt unsere Verankerung. Dazu braucht’s baumeisterliche Haltung und handwerkliches Ethos. Das muss der Weg sein.«
Verantwortung, die dem Ort gilt
Mit dieser Haltung bauen: Das geht zu Preisen um 2000 Euro/qm mit Betriebskosten von 600 Euro/Jahr (ohne Strom für Licht und Herd). Mit ökologischer Bauweise, ohne Wärmedämmsysteme und Photovoltaik. Und das Dach? Obwohl man‘s nicht recht glauben mag: Das Haus hat ein konventionelles Sparrendach mit First und Traufe. Freilich: die knappe Ausbildung der Dachkanten betont den Baukörper, was gewiss ungewohnt ist. Sorgfältig entwerfen verstehen Architekten jedoch so, dass es auf den konkreten Fall ankommt.
Die Betonung des Baukörpers ist genau ihre Antwort auf die Umgebung des Mischgebietes – eine Architektur, die sich in ihrer Abstraktheit aus dem konkreten Umfeld herleitet, auf Distanz geht und anderswo fehl am Platz wäre.
Architekten
Markus Hafner, Gerd Riedmiller
Wohn- und Nutzfläche
140 qm
Bauweise
42 cm Ziegel, ungedämmt, Putz, Betondecke, Sparrendach, Blech
Ausstattung
Fenster und Böden aus Eiche, Fußboden
Auszugsweise Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Kreisbotenverlages.
Text: Florian Aicher
Fotos: Nicolas Felder