Allgäu Haus | Oberstdorf

Allgäu Haus

Die »alten« Bauernhäuser haben sich immer verändert; in ihrer heutigen Form sind sie vielfach kaum mehr als 150 Jahre alt, doch im Kern kommen sie leicht auf ein doppeltes Alter. Wohnen und Wirtschaften unter einem – früher flach geneigten – Dach, der Zugang auf der sonnigen Traufseite, der lange Flur mit Treppe, zur Morgensonne die Wohnräume, darunter ein besonderer: die Stube. Eine klare, einprägsame Struktur, der An- und Zubauten bislang wenig anhaben konnte; die über Jahrhunderte getragen hat, vielfach variiert und doch sich gleich geblieben. Alltagstauglich. Wohnen auf dem Land Was liegt näher, als da anzuknüpfen, wenn man im Allgäu bauen will. Es ist bald 20 Jahre her, dass sich einige Architekten damit befasst haben und ihre Ideen in einem kleinen Wettbewerb zu Diskussion gestellt haben. Darunter war das Architektenpaar Angelika Blüml und Klaus Noichl, deren Beitrag ausgezeichnet wurde. Der Architekt Prof. Franz Riepl hat damals so geurteilt: »Das Projekt von Noichl/Blüml enthält viel von der Lebendigkeit undUnmittelbarkeit des Wohnens auf dem Land.
Es vermeidet die Übernahme städtisch geprägter Schemata, orientiert sich in Grundriss, Proportion und Aufriss an traditionellem Beispiel und vertraut darauf, dass dies für heutige Ansprüche in analoger Weise gelten kann.«

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Genauer Blick und sorgfältige Wertung
Das ist den Vorgängern ähnlich in Proportion und dem Material Holz, dem durchgehenden, flach geneigten Dach und der Öffnung des Hauses zur südlichen Traufseite. Es hat die querliegende Treppe, Küche und Essplatz zur Morgensonne, Schlafräume im Obergeschoss. Die einstigen Wirtschaftsräume sind nun Wohnraum und Atelier. NachWesten und Norden gibt sich das Haus verschlossen, die Orientierung nach Süden wird mit großen Fenstern und Solarthermie modern interpretiert. Die Fassade lässt die Tradition anklingen, erlaubt sich aber bei der Befensterung große Freiheit. Das gilt auch für den Innenraum – besonders das Erdgeschoss: Es ist ein offener Raum, gegliedert durch die Treppe, der dem eher kleinenHaus Großzügigkeit verleiht. Auf kluge Weise begrenzte Möglichkeiten nutzen – auch das den Bauern abgeschaut? Kluger Umgang mit Ressourcen: Das reizt Noichl/Blüml. Das heißt zuerst einmal: Verwenden, was da ist – das ist um Oberallgäu Holz. Doch mit Holz lässt sich auf unterschiedlichste Art bauen. Im Alpenraumweit verbreitet ist derBlock- oder Strickbau. Vor 20 Jahren war so etwas freilich tabu: Man stopfte Wände bis zum Abwinken mit Dämmstoff voll. Ein Haus aus Watte, das hohl klingt, wenn man dran klopft? Nichts für Noichl/Blüml! Also war ihr Haus von Anfang an einHolz- Massivhaus. Ein guter Entwurf, ein Preis beim Wettbewerb – aber einBauherr? Lange rührte sich nichts, sieben magere Jahre vergingen, bis eine Bauherrin das Modell auf der Fensterbank im Büro entdeckte und ausrief: Das isses! So kam es zum Auftragund 2005 wurde das erste Haus bezogen und seither geht’s wie’s Brezelbacken – derzeitiger Stand: ein Dutzend Allgäu Häuser.

Holz und Klima
Die Außenwände haben’s in sich: es sind reine, massive Holzwände. Da haben sich Noichl/Blüml mit einem örtlichen Zimmerer was besonderes ausgedacht: eine schwindfreie, ungedämmte Holzwand. Mit dem Grundmodul von 6 x 20 Zentimeter Bohlen wird eine gesperrte, gestapelte Wand erstellt. Der Kern wird in der Werkstatt gefertigt; der letzten Lagen – gleichzeitig das Finish – werden beidseitig auf der Baustelle aufgebracht. Fertig ist die Wand, mit 40 Zentimeter Stärke nicht mehr als eine verputzte 37,5 Ziegelwand. Dämmung entfällt. Die Häuser erreichen Niedrigenergiestandard. Was an Energie für Heizung und Brauchwasser nötig wird, liefert beim ersten Haus 8 Quadratmeter Solarthermie und Strahlungsheizung bei wenigen Wänden sowie ein Grundofen – kein Heizkörper, kein Fußbodenheizsystem. Holzbedarf? »Wir lueget gar it – 6 Ster pro Winter sind’s wohl“, sagt die Bauherrin. Diese Bilanz ist im Baustoff begründet: Dank seiner Dämm- und Speicherkapazität (Temperaturund Feuchte) erreicht die Holzmassiv-Wand, was mit Dämmung nicht zu schaffen wäre.«

Lebendige Ressourcen
Jedes der Allgäu Häuser ist anders, aber Struktur und Konstruktion bleiben sich gleich. Manche Häuser sind mit Erdwärme oder Gastherme beheizt, manche haben Fußbodenheizung, manche Heizkörper, alle mit Minimalausstattung. Und: Alle haben den Grundofen, denn die Ressource für den Betrieb wächst vor der Haustür. Eine weitere Ressource, die lokal verfügbar ist: Noichl/Blüml haben das Wandkonzept mit einem örtlichen Zimmerer entwickelt. Handwerkliche Kompetenz und Erfahrung trifft auf Theorie der Bauphysik und Baukonstruktion. Man begegnet sich auf gleicher Augenhöhe, experimentiert, optimiert und verfeinert. Nicht nur bei den Zimmererarbeiten: Der Innenausbau, die Schreinerarbeiten sind in gleichem Zusammenspiel entstanden. Davon hat auch der Bauherr was: Wenn korrigiert, repariert werden muss, sind die richtigen Leute in der Nähe. Auch das hat mit regionaler Bautradition zu tun. Bei den Bauernhöfen kamen immer Handwerker aus der Nähe zum Zug. Man hat sich nachbarschaftlich geholfen. Anders wären die stattlichen Höfe gar nicht denkbar. Beim Spazieren durch einige Weiler um Oberstdorf kommen einem die neuen Allgäu Häuser schon fast vertraut vor.

Architekten
Noichl/Blüml
Projekte
12 Wohnhäuser seit 2005
Bauliche Merkmale
Holzmassivbau, Niedrigenergie
Wohnfläche 100 – 250 qm

Auszugsweise Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Kreisbotenverlages.
Text: Florian Aicher
Fotos: Nicolas Felder